Diese Indie-Band, die zum Mainstream wird, oder die Underdog-Gruppe, die sich an große Sponsoren verkauft – Erfolg zwingt oft dazu, Kompromisse einzugehen und langfristige Ideale aufzugeben. Aber wenn es sich um eine politische Partei handelt, steht mehr auf dem Spiel, als dass Fans sich darüber beschweren, dass ihre Lieblingsband zu ausgefeilt ist. Als Oppositionspartei haben die Grünen den Preis des Pragmatismus gelernt.
Während seiner Regierungszeit Ende der 1990er-Jahre zwang der damalige Außenminister und Grünen-Ikone Joschka Fischer seine Partei, sich vom Frieden zu verabschieden und dem ersten deutschen Militäreinsatz nach Ende des Zweiten Weltkriegs zuzustimmen: dem Nato-Einsatz im Kosovo. Dies ist ein entscheidender Moment in Greenes „Realpolitik“.
In jüngerer Zeit, als die Grünen vor den Bundestagswahlen 2021 in den Umfragen aufstiegen, begann die „Basis“ – die Basis der Partei – ihre Besorgnis darüber zu äußern, dass der Eintritt in die Regierung erneut bedeuten würde, die Parteiprinzipien und die Ideologie zu kompromittieren.
Tatsächlich hat der Krieg in der Ukraine fast ein Jahr nach seinem Regierungsantritt die Führer der Grünen dazu veranlasst, Aufrufe zur Bewaffnung einer vom Krieg heimgesuchten Region zu lancieren. Das hat den Wirtschaftsminister der Grünen, Robert Habeck, dazu veranlasst, Menschenrechtsfragen und Klimabedenken beiseite zu schieben und nach Alternativen zu russischem Gas und Öl zu suchen.
Nun muss die Partei, die in der Anti-Atomkraft-Bewegung der 1980er Jahre verwurzelt ist, akzeptieren, dass die drei verbleibenden Atomkraftwerke des Landes über das Ende dieses Jahres hinaus weiter betrieben werden.
Der sozialdemokratische Bundeskanzler Olaf Scholes hat diese Woche verfügt, dass ihr Leben bis zum 15. April verlängert werden soll – dreieinhalb Monate nach dem gesetzlich vorgeschriebenen Atomausstieg des Landes. Ein entsprechendes Gesetz muss noch vom Parlament verabschiedet werden, aber die Führer der Grünen haben ihre Gesetzgeber aufgefordert, es zu unterstützen.
Der Kanzler beendete wochenlange Kämpfe zwischen seinen beiden Koalitionspartnern, bei denen die Grünen mit ihrem Angebot, nur zwei süddeutsche Kraftwerke für den Winter in Bereitschaft zu halten, gegen einen dritten Koalitionspartner, die wirtschaftsfreundlichen Freien Demokraten (FDP), ausgespielt wurden. ), wollte das Atomkraftwerk bis 2024 auslaufen lassen.
„Die Entscheidung von Bundeskanzler Scholes macht es den Grünen-Führern leichter, sie der Partei zu verkaufen“, sagt Chantal Sullivan-Thomsett, Klimaexpertin, im Gespräch mit der DW. „Sie können argumentieren, dass ein Politikwechsel nicht bevorsteht, weil sie ihre Agenda nicht ausreichend bekräftigt haben oder weil sie ein Schlüsselelement der grünen ‚Marke‘ aufgegeben haben.“
Unzufriedenheit in Norddeutschland
Was bei manchen Grünen als gelungener Kompromiss gilt, gilt bei anderen als Pragmatismus, nicht zuletzt in der Parteibasis im niedersächsischen Emsland.
Robert Habeck will das Kernkraftwerk Emsland wie geplant bis Ende des Jahres vom Netz nehmen. Und Niedersachsens Sozialdemokraten und Grüne haben argumentiert, dass ein weiteres Vorgehen unnötig sei, weil die Region genug Windenergie produziere. Die Co-Vorsitzende der Grünen, Ricarda Long, kritisierte die Entscheidung von Shoals, das Emsland online zu halten, als „nicht notwendig für die Stabilität des Netzes“.
Birgit Kemmer, Kreisvorsitzende der Grünen im Emsland, sagte, die Parteimitglieder seien „absolut begeistert“. Die Schließung des Werks war ein zentrales Wahlkampfthema der Grünen bei den jüngsten Landtagswahlen am 9. Oktober.
„Viele Wähler hier fühlen sich jetzt betrogen“, sagt Kemmer.
„Einige Parteimitglieder haben wir nach dem Ende von Shoals bereits verlassen. Das Kernkraftwerk Emsland muss geschlossen werden. Jetzt machen wir uns natürlich Sorgen, dass der Betrieb der Anlagen wieder verlängert werden könnte. Wer sagt neue Brennstäbe? Wird.“ sie gekauft werden?“ Sie fragt.
Süddeutsche Zulassung
Das Büro der Grünen im bayerischen Landshut ist 20 Autominuten von den drei verbleibenden deutschen Atomkraftwerken entfernt.
„Angesichts der aktuellen Kriegs- und Energiekrise in der Ukraine sind ein paar zusätzliche Monate hier nicht allzu traurig“, sagt Frank Steinberger, Sprecher des Landshuter Kreisverbandes der Grünen, der DW. „Wir leben schon lange mit Atomkraft.“
„Ich würde nicht sagen, dass es eine Spaltung in der Partei gibt, aber sie steht definitiv vor einem Dilemma“, sagt er. Doch das sei weit entfernt von den erbitterten Kämpfen zwischen kompromissbereiten „Realos“ (Realisten) und radikalen „Fundis“ (Fundamentalisten), die seit Jahrzehnten das Markenzeichen der Grünen seien.
„Natürlich gibt es ein kontroverses Element, das ist Teil der DNA der Grünen“, sagt Chantal Cope, Abgeordnete der Grünen im Bundestag, im Gespräch mit der DW. „Aber wenn am Ende eine Lösung gefunden wird, ist das ein Gewinn für die ganze Koalition.“
In seinem Wahlkreis Freiburg sind die Grünen seit langem eine Hochburg. Demonstrationen dort Anfang der 1970er Jahre gegen ein geplantes Atomkraftwerk am Rande des nahen Kaiserstuhls markierten den Beginn der deutschen Anti-Atomkraft-Bewegung.
„Die Diskussion über die Laufzeitverlängerung der Atomkraft wird seit Monaten geführt“, sagt Cobb in Freiburg. Letztlich geht es darum, die Lage stabil zu halten und unseren europäischen Partnern unsere Kompromissbereitschaft zu zeigen.“
Kompromissbereit bedeutet regierungstauglich
Christian Storch, Sprecher der Grünen Landesgeschäftsstelle in Berlin, stimmte zu.
„Kompromisse sind zu erwarten. Parteien werden nicht gewählt, um es allen recht zu machen. Es geht darum, Verantwortung für die Führung des Landes zu übernehmen“, sagt Storch der DW. „Die Schlussfolgerung, dass die Atomkraftwerke nicht wie von der FDP gefordert bis 2024 anlaufen, ist leicht zu schlucken.“
Ein in dieser Woche vom Kabinett unterzeichneter Gesetzentwurf zur Verlängerung der Laufzeit der deutschen Kernkraftwerke wird dem Bundestag Anfang November vorgelegt, und die Abgeordneten der Grünen werden voraussichtlich dafür stimmen.
Doch sie stehen bereits vor der nächsten Herausforderung ihrer Politik: bei Rüstungsexporten, insbesondere nach Saudi-Arabien, trotz Menschenrechtsbedenken.
Ist also ein Kompromiss die Ideale einer Partei wert?
Das sieht Wirtschafts- und Energieminister Habek so. „Es lohnt sich, Teil der Regierung zu sein“, sagte er den Delegierten auf dem Parteitag der Grünen letzte Woche. Die Grünen hätten in den vergangenen Monaten „in einem wahnsinnigen Tempo“ schwierige Entscheidungen treffen müssen, sagte Habeck. Sie haben bewiesen, dass sie die Regierungsverantwortung „zu Recht“ tragen.
Bearbeitet von: Rina Goldenberg
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